Der Improblog
Geheimnisse, Erlebnisse, Meinungen zu Improvisation
Heute präsentieren wir euch den zweiten Artikel in unserer neuen Blogreihe. Der Autor dieses Mal: Matthias Anderegg.
Er besuchte vom 10. bis zum 13. Februar das Improfestival “Fliegende Funken” in Bremen. Am Samstagabend sah er die Show “Auf Shakespeares Spuren” von “Für Garderobe keine Haftung”. Diese verzauberte ihn in den ersten Minuten mit ihrer grandiosen Perfektion. Und sie brachte ihn im weiteren Verlauf zum Nachdenken darüber, wie viel Perfektion Improvisation auf der Bühne braucht und verträgt. Doch lest selbst…
Foto: Für Garderobe keine Haftung
12. September 2015, abends
Ich sitze im Publikum und bin gespannt auf die Vorführung von Frederik Malsy und Jens Müller aus Wiesbaden. Eine Improshow mit zwei Spielern, einer Geschichte und dem Versprechen, ausschliesslich reimend auf Shakespeares Spuren zu wandeln. Geht das überhaupt?
Die Vorführung beginnt. Die ersten paar Sätze werden gereimt. “Nun ja das kann jeder noch so hinkriegen”, denke ich. Nach 10 Minuten hängt mir der Kiefer runter vor lauter Ehrfurcht. Die beiden Jungs bringen es wahrhaftig fertig, jeden Satz zu reimen und daneben noch tolle Figuren und eine spannende Geschichte zu entwickeln. Wahnsinn. Sackstark.
Erste Langeweile nach 20 Minuten
Nach 15 Minuten habe ich mich an das extrem hohe Niveau der beiden Improkünstler gewöhnt. Nach 20 Minuten beginnt mich das Ganze ein klein wenig zu langweilen. Meine innere Stimme sagt: “Du darfst dich doch bei einer solch tollen Leistung nicht langweilen! Das darfst du nicht. Das ist Weltklasse, was du hier gerade siehst.” Und doch. Mein Interesse an der Show beginnt langsam zu bröckeln…
“Mein Gott, ich möchte auch so toll reimen können wie die beiden”, denke ich zugleich ehrfurchtsvoll. Doch trotz einer Improtheaterdarbietung auf Höchstniveau, fehlt mir etwas. Am Ende bleibt ein seltsames Gefühl zurück. Und die Frage: “Was genau hat mir gefehlt?”
Diese Frage sollte mich noch eine Weile beschäftigen. Die Jungs waren wirklich grossartig, keine Frage. Und dennoch ist da dieses seltsame Gefühl. Und dann begreife ich: Es hat sich während der ganzen Show so angefühlt, als befänden sich die beiden Schauspieler stets in ihrer Komfortzone. Sie wussten in jedem Moment, was sie taten und spielten ihre Trümpfe aus. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Dieses Spiel innerhalb der Komfortzone war es wohl, das in meinen Augen und meinem Empfinden nach zu viel Spannung weggenommen hat. Was mir fehlte, war das Spiel mit dem Risiko. Das Risiko, sich gegenseitig herauszufordern, gemeinsam bis an den Rand des Abgrunds gehen und sich bravourös vor dem Absturz zu retten. Stets die Möglichkeit des Scheiterns in Kauf zu nehmen. Um dann doch nicht zu scheitern!
Aus der Komfortzone heraustreten
Dieser Aspekt ist für mich und mein Verständnis von Improtheater essentiell: die perfekte Balance zwischen “safety” und “stress” zu finden, wie Shawn Kinley es formuliert. Oder den “sweet spot”, wie die Golfer es nennen.
Natürlich will ich Geschick und Talent auf der Bühne sehen, gleichzeitig möchte ich aber auch merken, dass die Improspieler aus ihrer ganz persönlichen Komfortzone heraustreten und sich der Möglichkeit des Scheiterns stellen. Egal auf welchem Niveau sie sich bewegen. Die Möglichkeit des Scheiterns hat immer etwas sehr persönliches und verletzliches an sich. Das gefällt mir. Das suche ich.
Mein Appell an die beiden Improkünstler aus Wiesbaden: Weniger Perfektion und mehr Mut zum Risiko, bitte!
Und mein Appell an mich selbst und alle anderen Improvisateure: Mehr Perfektion, bitte!
Was ist deine Meinung zu diesem Thema…? Wie viel Perfektion verträgt Improvisationstheater? Wie viel Risiko brauchen wir als Spieler und als Zuschauer?