Der Improblog
Geheimnisse, Erlebnisse, Meinungen zu Improvisation und Theater
Was bedeutet es, einen guten Chef zu haben und/oder selbst ein guter Chef zu sein? Was bedeutet es, geführt zu werden und/oder selbst zu führen? Und was hat Impro mit all dem zu tun? Diesen Fragen geht Gerald Weber in seinem Blogbeitrag nach.
Momentan arbeite ich am grössten Projekt mit, an dem ich je beteiligt war. Es ist herausfordernd und treibt mich an meine persönlichen Grenzen. Dabei werde ich zum Glück von einem erfahrenen Kollegen begleitet. Ich arbeite und gestalte mit viel Eigenverantwortung und werde im Job-Alltag durch meinen Chef geführt. Zur selben Zeit leite ich ein Ressort mit vielen bezahlten und freiwilligen Mitarbeitern und muss diese selber führen.
So viel Führung in, um und durch mich. Aber welche Fähigkeiten machen einen Chef zu einem guten Chef? Und was will ich für ein Chef sein? Und welche Erfahrungen, die ich als Improvisateur zum Thema Führung habe, bringe ich mit? Hier der Versuch einer Selbstbeobachtung, einer Spurensuche in der Impro:
Eine gute Chefin ist eine Moderatorin – sie übernimmt Verantwortung.
Ein Regisseur im Maestro, ein Juror im Theatersport, eine Moderatorin in einer Gamesshow oder ein Storyteller bei Heroes. Alle diese Personen übernehmen Verantwortung für ihre Shows. Wenn alles gut läuft, sollte der Zuschauer sie nicht wirklich wahrnehmen und der Ruhm gebührt den Spielern. Wenn es stockt, sind sie es, die die Verantwortung für das Scheitern auf sich nehmen. Durch dieses Backup kann ich, als ausführende Person, als Spieler, mich voll auf mein Spiel konzentrieren, denn ich weiss: Mein Regisseur oder meine Moderatorin hält mir den Rücken frei.
Ein guter Chef ist ein Formatentwickler – er setzt Rahmen und bietet halt.
Ein gutes Format und ein inspirierendes Game bieten mir Rahmen, Regeln und Grenzen und im Inneren einen Spielraum. Dieser Spielraum schenkt mir Sicherheit, in ihm kann ich mich kreativ und engagiert betätigen. Das ist ein tolles Geschenk, geschützte Freiheit. Natürlich ist ein Rahmen nur so gut, wie die Flexibilität, die der Rahmen ermöglicht. Ein guter Chef wird immer auch wissen (oder lernen), wann die Zügel fester und wann sie lockerer sein müssen. Aber man sollte Regeln, wie in der Improvisation, dennoch erst dann bewusst brechen, wenn man den Sinn und die Bedeutung der Regeln auch wirklich verstanden hat.
Eine gute Chefin ist eine Mitspielerin – sie steht mir zur Seite.
Alles ist in der Impro einfacher, wenn man eine Mitspielerin hat, die einem positiv gegenübersteht. Die einfach da ist und signalisiert, das alles gut wird. Die zeigt, dass du nicht allein bist und das sie da ist, wenn ich sie brauche. Auch wenn die Mitspielerin es nicht unbedingt besser kann oder weiss als ich, so ist es doch beruhigend. Und wenn sie dann doch mehr Erfahrung und Können hat, umso besser, dann bin ich noch beruhigter.
Ein guter Chef ist ein Coach – er gibt mir Herausforderungen zum wachsen.
Spieler werden am besten gefördert, wenn man ihnen Herausforderungen stellt, die sie fordern, aber die sie lösen können. Ob es tatsächlich gelingt, ist dabei nicht unbedingt zentral. Wenn ich merke, dass ich es hätte schaffen können, dann reicht das schon als Motivation. Dann bin ich bereit, es wieder zu versuchen und meine eigenen Grenzen zu erweitern. Ein guter Coach wird mir immer Angebote machen und Herausforderungen stellen, die mich fordern, aber die im Bereich meiner Möglichkeiten liegen.
Ein guter Chef ist ein Mentor – er gibt mir alles, erkennt seine Grenzen und lässt los.
Das Schwerste beim Führen ist es seine eigenen Grenzen zu kennen. Seine eigenen Fehler einzugestehen und Scheitern zu akzeptieren. Manchmal ist es durchaus sinnvoll, Stärke und Unfehlbarkeit zu zeigen, es kann um mir Halt bieten. Was dabei nicht vergessen werden darf: Führung, wie auch eine Mentorenschaft, ist kein Selbstzweck, sondern soll mich unterstützen und mir helfen meinen Weg zu gehen.
Dafür geht auch der Mentor oft an seine eigenen Grenzen, begibt sich in unsicheres Terrain und bereitet und beschreitet Wege, die ihm selber Angst machen. Und wenn er es richtig gemacht hat, dann stirbt er. Zumindest in Filmen (Obi Wan, Dumbledor, Gandalf… noch Fragen?). (Anm. d. Red.: Ich sehe mich nicht als Mentor dieses Textes! ;-)) Dies markiert den Moment, an dem er mich gehen lassen muss. Wo man einen Improspieler seine eigenen Erfahrungen und seine eigenen Verantwortungen anvertrauen muss. Diesen Moment zu treffen ist sicher schwer und tragisch. Führen heisst auch loszulassen.
Alle diese Eigenschaften darf ich erleben, jeden Tag, um mich herum und hoffentlich auch durch mich. Ich möchte mich bei den tollen Chefs, die hatte und habe, bedanken. Chef sein heisst eben auch ein Vorbild zu sein und das seid und wart ihr mir. Ich glaube, Chef sein, heisst auch am Schluss „Danke!“ sagen zu können. In diesem Sinne: Danke.