Der Improblog
Geheimnisse, Erlebnisse, Meinungen zu Improvisation und Theater
Ist Impro Kinderkram? Diese Frage beantwortet Amrei Rasch vom Theater Anundpfirsich in ihrem Blogbeitrag ganz und gar nicht kindisch sondern durch und durch psychologisch.
Ist Impro „Kinderkram“? Eine psychologische Antwort auf ein Vorurteil
Immer wieder begegne ich Teilnehmern in Seminaren – insbesondere im Unternehmenskontext – die zunächst Mühe mit Improvisation(stheater) haben. Ein Kritikpunkt ist, dass gewisse Übungen eher an Kinderspiele erinnern. Impro sei „kindisch“ und nicht wirklich ernst zu nehmen. Man mache sich damit nur lächerlich. Sobald sie jedoch einen Workshoptag erlebt haben, schlägt diese Skepsis oft in Begeisterung um.
Was ist das also für eine vorschnelle Skepsis? Woher kommen die Bedenken, sich lächerlich zu machen?
Nun habe ich vor längerer Zeit einmal Psychologie studiert und versuche auf dieses Vorurteil eine Erklärung zu finden. Und dazu ziehe ich die „psychologischen Grundbedürfnisse“ heran. Klaus Grawe, anerkannter Zürcher Psychotherapieforscher, definierte vier Grundbedürfnisse von Menschen: Menschen sehnen sich nach Orientierung/Kontrolle, nach Lust, nach Bindung und zu guter Letzt nach Selbstwerterhöhung.
Welche Grundbedürfnisse werden also beim Improvisieren verletzt bzw. nicht erfüllt?
1.) Lust-Bedürfnis:
Dieses Bedürfnis wird erfüllt, denn Spass macht Improvisation(slernen) auf jeden Fall. Erfahrungsgemäss sogar auch solchen Teilnehmern, die sich zunächst nicht freiwillig dafür angemeldet haben.
2.) Bedürfnis nach Bindung:
Auch das Bindungsbedürfnis wird auf jeden Fall gestärkt, denn man trifft in den Kursen auf wirklich nette Leute oder lernt seine Kollegen von einer neuen Seite kennen. Und das gemeinsame Üben, Trainieren und Erfolg-scheitern-lachen-nochmal-machen ist ein soziales Tun, was oftmals unvergessliche Momente entstehen lässt.
3.) Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung:
Wie erhöht sich der Selbstwert? Zum Beispiel dadurch, dass man Erfolg erlebt. Und Erfolge erlebt man im Training/Kurs in Momenten, wenn eine Übung gut gelungen ist oder man beim Spielen eine Rolle recht gut gespielt hat.
Ich kenne viele Improspieler, die auch ab und zu Krisen nach einer Probe oder nach Auftritten hatten – manche mehr, manche weniger. Das senkt den Selbstwert, man beginnt an sich zu zweifeln. Selbstwerterhöhung ist in der Welt der Improvisation also ein flüchtiges Bedürfnis und hängt von der Tagesform, den Mitspielern und von vielem mehr ab, das man nur dadurch positiv beeinflussen kann, indem „man nach dem Hinfallen die Krone zurecht rückt und wieder aufsteht“.
4.) Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle:
Das Kontrollbedürfnis geht leider baden: „Erfahrungslernen“ ist die Hauptidee in der Improvisation. Und Erfahrung funktioniert nur über Ausprobieren, Fehler machen, wieder aufstehen und nochmal machen. Insofern erinnert das Erfahrungslernen vielleicht auch an Kindliches.
Während also die Kontrolle schwindet, sorgt der Workshopleiter jedoch für Orientierung: Improvisation funktioniert nach einer Hand voll Grundregeln (siehe Blogbeitrag von Matthias – Die 7 ultimativen Regeln der Improvisation). Sobald diese Grundregeln verstanden werden, gelingt das Improvisieren sicherer. Allerdings braucht es bei jedem eine gewisse Zeit, bis aus „Verstehen“ „Tun“ wird. Also könnte man sagen „Kontrolle adé, Orientierung juchhee“.
Skepsis als Selbstschutz
Es ist also eine Herausforderung, zu erleben, wie Selbstwert durch Improvisation bedroht wird. Und noch herausfordernder ist das Gefühl, Kontrolle abgeben zu müssen. Wo wir doch heutzutage alle recht kontrollbedürftig sind. Ich denke, dass „Kinderkram“ vielleicht ein Argument des skeptischen Teils in uns sein könnte, um sich davor zu schützen, weder Selbstwert noch Kontrolle zu verlieren.
Und alle, die sich auf den angekündigten Kontrollverlust einlassen, erleben etwas Neues: Das Vertrauen in andere wächst! Die anderen können nämlich ihren Teil dazu beitragen, dass das improvisierte Gesamtstück ein Erfolg wird. Vielleicht hilft ja wenigstens das Wissen darüber, dass man Kontrolle verliert und dass der Selbstwert schwankt, um sich (wenigstens) kontrolliert darauf vorzubereiten?
Also, plane gemütlich Deinen Kontrollverlust und lass Dich auf gekonntes Improvisieren ein!
(Abschliessende Anmerkung der Redaktion: Genau, am besten in einem der Anundpfirsich-Improkurse!)