Der Improblog
Geheimnisse, Erlebnisse, Meinungen zu Improvisation
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Braucht es auf der Improbühne mehr als einen Schauspieler? Andersherum gefragt: Ist Soloimpro die hohe Kunst der (einzig wahren) Improvisation und alles andere bloß eine Mogelpackung? (Anm. d. Red.: Die Frage habe ich mir auch schon gestellt!)
Ich bin Improschauspieler und also solcher beherrsche ich die hohe Kunst, aus dem Moment heraus Dinge entstehen zu lassen, auf einer Bühne, ohne Vorbereitung. Meistens, nein, eigentlich immer tue ich das zusammen mit anderen, meinen MitspielerInnen. Doch wozu brauche ich die anderen eigentlich? Wozu brauche ich den lustigen Kasper an meiner Seite, die feminine Improdiva an meinen Lippen und/oder den virtuosen Pianisten am Bühnenrand? Machen sie die Show besser oder lenken sie mich (und die Zuschauer) nur von mir selbst und der wirklichen Improvisation aus mir selbst heraus ab? Helfen oder stören sie?
Ich gebe zu, es kommen viele kreative und hilfreiche Impulse von aussen, wenn ich nicht alleine auf der Bühne stehe. Meine Mitspieler hören mir zu, geben mir etwas, ich höre ihnen zu und gebe etwas zurück. Gemeinsam kreieren wir. Wundervoll. Am Rand sitzt meist der Musiker und untermalt das Geschehen, er gibt Impulse, spielt begleitend oder kontrastierend zum Geschehen und bekommt am Ende einen besonders warmen Applaus vom Publikum, weil alle ihn bewundern.
Wir assoziieren, tarammtammtammen oder klatschen fröhlich in die Hände
Vor den Shows hängen wir als kreatives Grüppchen zusammen, essen Schnittchen und im Idealfall machen wir kurz vor der Show noch ein paar lustige Warmup-Spiele. Wir assoziieren, tarammtammtammen oder klatschen fröhlich in die Hände und senden energievolle Impulse durch den Raum zu unseren Mitspielern. Nach den Shows reden wir über gespielte Szenen, wundern uns warum das Publikum gut, schlecht oder normal war und trinken Bier/Wein/Tee. Impro ist ein Gruppengefühl, das Identität kreiert. Diese Identität teilen die meisten Improspieler. Deshalb mögen wir lustige Motive und Sprüche wie “Think out of the Box” auf T-Shirts so gern. Genauso gern posten wir diese Sprüche bei Facebook und/oder crossliken sie. Wir sind eine Community.
Daran ist nichts auszusetzen, im Gegenteil – ich liebe diesen Teil der Improvisation (und die T-Shirts!). Doch irgendetwas sagt mir, dass dort noch etwas anderes schlummert, ausserhalb der Gruppe, ausserhalb des gemeinsamen Erlebens. Es muss nicht immer in der Gruppe sein, Impro geht auch solo. Impro ohne „die Anderen“, nur du selbst mit dir allein auf der Bühne. Und irgendwo hinter dem Licht vielleicht noch ein paar Zuschauer. Ist das nicht die hohe und wahre Kunst der Improvisation?
Feigheit vor dem Alleinsein
Nur wenn ich ganz allein auf der Bühne bin, mit mir, meinem Körper und meinen eigenen Assoziationen, nur dann können wahre Improwunder aus mir selbst heraus entstehen. Gewiss kann ich auch dort auf Routinen zurückgreifen und ebenso sicher bin ich allein durch mein Sosein limitiert, dennoch glaube ich, dass Soloimpro etwas ganz Besonderes ist. Alles andere ist, böse gesagt, eine Vereinfachung. Manchmal gewiss auch Feigheit, in diesem Zusammenhang als ein provokatives Synonym für Angst eingesetzt. Die Feigheit vor dem Alleinsein auf der Bühne. Das Nichtvertrauen in den Moment.
Wie oft beginnt eine Szene mit einem einzigen Spieler auf der Bühne? Oft. Wie oft endet dieser Solostart durch panische Hilferufe oder hyperaktive Mitspieler? Ebenso oft! Der Solostart, alles ist möglich – und dann ruft der Spieler auf der Bühne einen zweiten Spieler hinzu oder blickt flehend zur Seite. Weil er sich nicht traut, solo zu improvisieren, den Moment zu entdecken. Das habe ich oft gesehen und genauso oft erlebt, mit den eigenen Augen und am eigenen Leib. Statt das Alleinsein auszuhalten, mit dem Wissen, dass damit auch das alleinige Scheitern immanent ist, wird nach Hilfe gerufen. Gemeinsam scheitert es sich einfacher, denn geteiltes Scheitern ist oft halbes Leid.
Das Ego, dieser ständige Begleiter
Genausooft halten es die Spielerinnen am Rand nicht aus und stürzen verfrüht in ein gerade erst entstehendes Setting, eine langsam aufblühende Geschichte. In ihrem Kopf sprühen die Ideen, die Spielfreude schubst sie geradezu auf die Bühne. Dabei braucht es sie eigentlich nicht, aber das Ego lässt sie glauben, es wäre an der Zeit für ihren Auftritt. Und nachher sagen sie: “Aber die Leute haben doch gelacht, also war es richtig.” Das Ego, dieser ständige Begleiter der improvisierten Kreativität. Manchmal ist es ein nerviges Sackgesicht.
“Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern”, dieses Zitat wird Samuel Beckett zugeschrieben. Warum nicht einfach mal solo? Ganz bewusst? Ohne Netz und doppelten Boden, wie es gerne in Showankündigungen geschrieben steht. Ich bin dafür. Ich werde es tun. Ich habe es getan. Es gibt ein paar einfache Übungen, die nicht nur sehr viel Spaß machen, sondern auch funktionieren. Auf der Bühne. Mit der folgenden Wortschwall-Übung zum Beispiel kommt man sehr schnell zu einer Vielzahl von Assoziationen, die dann in einem weiteren Schritt szenisch umgesetzt werden können.
https://www.youtube.com/watch?v=ucR-vzrX4rg
Augenöffnend war für mich der äusserst empfehlenswerte Rampensau-Soloworkshop von und mit Roland Trescher. Zwei volle Tage Soloarbeit an und mit dir selbst. Wunderbar! Übrigens zusammen mit anderen SpielerInnen. Jeder übt für sich selbst und doch zusammen.
Raus aus der Komfortzone
Lang genug habe ich mich bei meinen Solo-Auftritten auf “Poetry Slam”-, Impro- und Comedy-Bühnen auf die vermeintliche Sicherheit des Bekannten verlassen. Ich habe Dinge getan, von denen ich wusste, dass sie funktionieren. Habe bewährte Texte gelesen und Dinge gesagt, von denen ich wusste, dass sie gut ankommen. Aber manchmal habe ich eben auch etwas Neues ausprobiert, z.B. einen neuen Text zum ersten Mal gelesen. Oder ich habe damit begonnen, während eines Auftritts zu improvisieren, verbal und szenisch – und bin von mir selbst und vom Publikum dafür beschenkt worden. Mit Staunen, Applaus und Anerkennung. Ich will mehr davon. Erleben und sehen. Ich will raus aus der Komfortzone!
Ich bin der Meinung: Nur wer mit sich selbst im Reinen ist, kann es auch mit anderen sein. Wer solo kann, kann auch in der Gruppe. Im Leben und auf der Bühne. Das klingt radikal und so ist es auch gemeint. Zugleich möchte ich sagen, dass ich niemals in meinem Leben auf das Zusammenspiel mit anderen Improspielern verzichten möchte. Ich liebe es! Aber manchmal darf und soll es auch ein bisschen Solo sein. Ich bin mir sicher, (fast) jedem Solo wohnt ein Zauber inne. Gönnen und geben wir dem Solo doch einfach mehr Bühnen-Raum und -Zeit.
Und nun freue ich mich auf Feedback, denn dieser Beitrag ist interaktiv. Was denkst du? Welche Erfahrungen hast du (solo und mit deinen MitspielerInnen) gemacht? Ich freue mich auf einen angeregten und anregenden Austausch. :-)