Der Improblog
Geheimnisse, Erlebnisse, Meinungen zu Improvisation
Dieses Mal beschreibt Gerald Weber mit viel Leidenschaft und Pathos, wie er sich die Zukunft der Improvisation vorstellt. Als Spieler, Lehrer und Visionär.
Ich habe Glück gehabt. Viel Glück. Diese Zeit zwischen den Jahren macht mich immer ein wenig nachdenklich und besinnlich. Dann habe ich endlich einmal Zeit zu erfassen, wie viel Glück ich gehabt habe. Vielen Dank dafür! Aber ich glaube, das Glück auch zur Weitergabe verpflichtet. Dieser Text soll eine Vision sein. Die Vision, einen (Impro-) Traum zum Leben zu erwecken.
Am Anfang einer Vision steht immer ein Blick in die Vergangenheit: Zu aller erst habe ich von fantastischen Lehrern lernen dürfen: Keith Johnstone, Shawn Kinley, Jim Libby, Randy Dixon, Patti Stiles – um nur ein paar wenige zu nennen. Sie haben mir mit viel Geduld (denn übermässig talentiert war ich sicherlich nicht) sehr viel beigebracht und ihre Lehren begleiten mich auch heute noch jeden Tag.
Dazu hatte ich fantastische Wegbegleiter: Simone Schwegler, Laura Doorneweerd, Emilia Meincke, Caroline Schneider, Georg Bauer, Vid Sodnik, Niggi Hégelé und Frank Renold (auch hier nur eine wieder viel zu kleine Auswahl), die mich gefordert, gefördert und inspiriert haben.
Impro als Lebensgrundlage
Und dann hat mir das theater anundpfirsich 2013 das grösste Geschenk von allen gemacht: Sie luden mich ein, Teil einer Gruppe zu werden, die Impro zu mehr als einem Hobby machen wollte. Impro sollte eine Lebensgrundlage werden. Und das hat funktioniert. So darf ich seitdem von Impro leben. Was? Wirklich? Das geht? Ja, ich darf Shows spielen, Kurse unterrichten und Impro organisieren. Und ich kann davon leben…
Das grosse Geschenk und Vertrauen, das mir entgegen gebracht wurde, überwältigt mich heute noch. Ich war einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Einfach so? Ja, einfach so!
Und so darf ich heute weiterhin jeden Tag mehr über Impro lernen. Ich darf jeden Tag mit lieben und verrückten Menschen zusammen sein, sie bereichern und von ihnen bereichert werden. Ich habe mein Hobby zum Beruf machen können und sowohl die spektakulären, als auch die Schattenseiten dieses Jobs erfahren dürfen. Ich habe furchtbare und tolle Shows spielen müssen und dürfen, ich habe Menschen unterhalten, eine fantastische Masterclass unterrichten können und unglaublich tolle Spieler und Spielerinnen kennen gelernt und auf dem Weg ihrer Entwicklung begleiten dürfen. Und das nun schon verdammt geile 3 Jahre lang. JAAA, es geht!
Das Geschenk weiterreichen
Und genau dieses Geschenk gilt es weiterzureichen. Eben weil unsere Chancen damals so klein waren und wir Glück hatten. Ist es nicht genau dann unsere Verantwortung, die Chancen für jene, die nach uns kommen zu vergrössern? Ist es nicht unsere Verpflichtung, das, was wir uns mühsam in Jahren mit vielen Reisen und mit hohen Ausgaben aufgebaut haben, so weiterzugeben, dass die, die nach uns kommen, uns schnell überholen können?
Ich denke: ja! Ich denke, dass genau das Entwicklung und Fortschritt sind. Dass ich das, was ich in zehn Jahren gelernt habe, in zwei Jahren weitergeben kann. Denn hey, dann hat der/die Nächste schon acht Jahre Vorsprung. Was kann man in der Zeit alles entdecken und entwickeln? Das möchte ich erreichen. Ich möchte möglichst vielen Spielern und Spielerinnen das weitergeben, was ich gelernt und entdeckt habe, damit sie noch neuere Gebiete erforschen können, damit sie diese Unterhaltungsform noch weiter vorantreiben können. Damit sie verwirklichen, wovon ich heute nicht mal zu träumen wage.
Träume zum Leben erwecken
Und ich möchte Strukturen schaffen, die es jedem, der für Impro brennt, erlaubt davon leben zu können. Ich möchte die Geschenke, die ich bekommen habe, vermehren und weiterreichen, denn ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als von der Impro zu leben. Von dem zu leben, was ich liebe und was ich 24 Stunden am Tag machen und worüber ich 24 Stunden am Tag reden und nachdenken kann. Dies ist meine Vision für das Schaffen des theater anundpfirsich und meines Schaffens. Denn heute sind wir ein paar und bald schon könnten wir viele sein, die ihren Traum zum Leben erwecken! (Anm. d. Red.: Ich sehe Gerry auf einem Berg stehen, im Hintergrund geht die Sonne auf, Hoffnung schwebt über den Tälern)
Aber dafür brauchen wir mehr. Mehr Theaterräume, mehr Shows, mehr Freaks, mehr Aufträge, mehr Umsatz, mehr Fans, mehr Möglichkeiten, mehr Werbung, mehr Scheitern, mehr Träume, mehr Spielerinnen, mehr Bücher, mehr Mut, mehr Spontanität, mehr Planung und mehr Glück. Denn dann wird es mehr Impro geben, mehr fantastische Traumspinner, mehr Menschen, die wir berühren und verzaubern, mehrere Möglichkeiten davon zu leben, mehr Entwicklung und vielleicht mehrere Improgedanken in der ganzen Welt.
Werde ich, werden wir damit Einzelnen auf die Füsse treten? Vielleicht. Und das tut mir leid und ich stelle mich jedem Austausch dazu, aber mein Traum ist es, dass unsere Arbeit für eine weitere Generation von Improfreaks die Grundlage bilden könnte, ihren Traum zu leben.
Dafür lebe ich, dafür arbeite ich und dafür bin ich dankbar.