Der Improblog
Geheimnisse, Erlebnisse, Meinungen zu Improvisation und Theater
„Warum mache ich eigentlich Impro?“ … Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Am vergangenen Wochenende habe ich endlich eine Antwort darauf erhalten. Ich mache Impro, weil es die Kraft hat Leben zu verändern.
„Ungefähr in der fünften Klasse hatte ich ein einschneidendes Erlebnis, in der Schultheatergruppe. Dort waren Fehler nicht erwünscht. Alles musste perfekt sein, wer Fehler machte war schlecht. Ich machte Fehler, fühlte mich unglaublich schlecht und war voller Angst. Bis heute wirkt es nach. Ich habe gelernt zu denken das Theater und ich einfach nicht zusammenpassen.
Heute bin ich erwachsen und muss in meinem Beruf oft auf der Bühne stehen und Vorträge halten, dabei bin ich schon viele Tode gestorben, weil ich jedes Mal das gleiche Gefühl wie damals im Schultheatergruppe hatte. Fehler sind schlecht, hiess es. Wenn ich welche machte, stand ich dumm da. Doch ab jetzt ist alles anders, dank dieses Kurses.
Ich habe erlebt, dass Scheitern nicht nur in Ordnung ist, sondern auch Spass machen kann. Und ich habe gelernt, mit mir selbst und dem Scheitern besser umzugehen. Scheitern bringt mich nicht um, es bringt mich weiter. Dieses Wochenende hat viel in mir bewegt. Jetzt freue ich mich auf meine nächsten Auftritte.“
– Ein Kursteilnehmer
Impro kann bewegen
In etwas so wie oben beschrieben formulierte ein Teilnehmer am Ende unseres zweitägigen Improeinsteigerkurses sein Feedback. Für einen Moment hatten ich und meine Kollegin Tränen in den Augen, denn ganz offensichtlich hat unsere Arbeit, hat Impro das Leben eines Menschen positiv beeinflusst. Es war einer dieser Momente, in denen mir bewusst wird, warum ich mich für Impro entschieden habe, warum ich es für so unglaublich mächtig und wertvoll halte.
Impro kann zwar keine Berge versetzen, aber Impro hat die Macht Menschen zu bewegen. Impro verändert, erweitert, erheitert, erhellt. Das vergesse ich ab und zu in meinem von der Impro bestimmten Berufsalltag. Ich vergessen, dass das, was für mich mittlerweile selbstverständlich ist, für die Teilnehmer unserer Einsteigerkurse vollkommenes Neuland ist.
Einen neuen Zugang zu sich selbst gewinnen
So ein Einsteigerkurse ist ein Abenteuer für die Teilnehmer, die sich fühlen müssen wie Christopher Kolumbus, als er aufbrach Indien zu entdecken. Man könnte sie auch Aussteigerkurse nennen, weil die Teilnehmer aus dem Gewohnten Leben für zwei Tage aussteigen. Einander bis dato fremde Menschen begegnen sich in unserem kleinen Theater an der Töpferstrasse und werden innerhalb weniger Stunden zu Vertrauten. Nur hier wird die zu Beginn gradlinige Businessfrau auf der Bühne zum fröhlich gackernden Huhn. Hier kann sogar der steife Informatiker einen neuen und anderen Zugang zu sich und seinem Körper und anderen finden.
Impro bedeutet Kontrolle abzugeben, für andere dazusein, das Unbekannte zu betreten. So etwas macht Angst, vor allem zu Beginn. Doch wer den ersten Schritt gewagt hat, der/die erfährt sehr bald ein Aha-Erlebnis. Aus „Aller Anfang ist schwer“ wird „Aller Anfang ist … yeah!“. Nirgendwo sonst habe ich es erlebt, dass Menschen sich mit Hilfe der Improvisation und ihren Tools so schnell und direkt aufeinander einlassen und ihre Komfortzone verlassen.
Vom „Nein!“ zum „Ja, genau und …!“
In einem geschützten Rahmen erleben die Teilnehmenden lustige Aufwärmspiele, in denen sie einfach mal verrückt sein können ohne bewertet und zensiert zu werden. Sie kreieren Wort für Wort Assoziationen, in denen sie sich selbst überraschen und erstaunt über das gerade Gesagte kichern. Aus dem konditionierten und reflexartigen „Nein!“ wird nach und nach ein kraftvolles „Ja, genau und …“. Impro elektrifiziert und lädt auf.
Wenn ich sehe, wie aus den anfangs schüchternen Besuchern eines Improtheaterkurses im Verlauf von wenigen Stunden kommunikative Enthusiasten werden, dann werde ich an mich selbst erinnert. Daran, wie es mir vor über zehn Jahren erging, als ich das erste Mal die Kraft des Improvisationstheaters am eigenen Leib erleben durfte.
Manchmal vergesse ich all das, weil es so selbstverständlich geworden ist. Doch es ist alles andere als selbstverständlich in einer Gesellschaft, die Fehler überwiegend noch immer als No-go definiert und den Erfolg des Einzelnen über das Glück aller stellt. Impro kann Entgegenwirken, Abhilfe verschaffen, Augen öffnen und wie oben gesehen Wunden heilen.
Moment mal!
Zugleich ist mir bewusst, dass unsere Arbeit auch Gefahren birgt. Wir arbeiten mit Menschen und stossen Prozesse an, die weit über den Kurs hinaus wirken. Was ist, wenn die Prozesse anders als oben geschildert nicht unmittelbar zu Bestärkung sondern zu Verunsicherung führen und das ganze Leben eines Menschen auf den Kopf stellen?
Eine Antwort auf diese Frage ist einen eigenen Beitrag wert. Ich beschränke mich heute auf die schönen Seiten der Impro (für Einsteiger). Auf das Vergnügen, welches mit der Impro-Arbeit und nicht erst danach kommt. Impro ist vor allem ein bezaubernder Schlüssel zu mehr Kreativität, Offenheit, Veränderung, Interkation und Zusammenarbeit. Wir haben die Macht, Türen und neue Welten zu öffnen. Dafür bin ich unendlich dankbar.