Der Improblog
Geheimnisse, Erlebnisse, Meinungen zu Improvisation
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Dieser Eintrag ist der bislang politischste und längste im Pfirsich-Improblog. Simone Schwegler stellt im Kontext der eigenen Probenerfahrungen, verbunden mit der aktuellen Aufregung rund um die “Durchsetzungsinitiative” die Frage, ob es im Improtheater Tabuthemen gibt. Und sie appelliert an den gesunden Menschenverstand.
Anlass zum Schreiben dieses Blogeintrages ist zum einen eine Szenenfolge aus einem Lotus während unserer letzten Probe. Und zum anderen eine aktuelle, menschenunwürdige Abstimmungskampagne der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (die Partei mit dem aktuell grössten Wähleranteil in der Schweiz). Davon ausgehend stelle ich die Frage: Gibt es Tabuthemen im Improtheater? Aber eins nach dem anderen…
Der Fokus unserer Probenarbeit liegt derzeit auf Beziehungen und Plateau. So auch vergangene Woche. Nach einigen Übungen um diese beiden Themen herum, entschliessen wir uns dazu einen Lotus zu spielen. Mit der klaren Struktur, dass jede der drei Anfangsszenen in der Gegenwart, die Mittelszenen in der Vergangenheit und die Schlussszenen in der Zukunft spielen sollen. Diese Struktur dient als Mittel, um in den Anfangsszenen schon eine klare Beziehung zwischen den Figuren zu haben. Menschen mit einer gewissen Vorgeschichte begegnen sich.
Ein brandaktuelles Tabuthema?
Eine Vorgabe wird eingeholt. Die Vorgabe ist Migration. Erste Luft wird zwischen den Zähnen eingezogen. Ein brandaktuelles Thema. Ist es gar aufgrund seiner Aktualität ein Tabuthema? Wir nehmen die Vorgabe an und spielen drei parallele Geschichten. Die gespielte Szenenfolge möchte ich hier kurz zusammenfassen:
Szene 1: Eine Frau (Jaqueline) geht aufs Migrationsamt und trifft am Schalter den Zuständigen für Asylentscheide. Dieser, wir nennen ihn Heiri, ist ein alter Schulkollege, die beiden haben sich seit einiger Zeit nicht mehr gesehen. Die Frau bittet ihn, ihren Verlobten – einen Albaner – einzubürgern, damit die beiden in der Schweiz bleiben können. Der Mann, bodenständig und schweizerisch, ist zurückhaltend und verweist auf das Prozedere.
Szene 2: Einige Jahre früher, in einer Bar, wird Heiri von einer Gruppe gleichaltriger jugoslawischer Jugendlicher verhauen. Er liegt am Boden. Jaqueline, eine Frau betritt, die Bar. Sie sieht Heiri auf dem Boden liegen und gibt ihm ihr Taschentuch, damit er sich das Blut abwischen kann.
Szene 3: Wir springen vorwärts in der Timeline. Wir sehen Heiri wie er etwas bearbeitet. Jaqueline tritt hinzu. Sie bedankt sich. Als Publikum wähnt man sich an dieser Stelle im Glauben, dass ihr Verlobter wohl eingebürgert wurde, doch dann kommt der Twist. Sie sagt: „Danke, dass du Boric nicht eingebürgert hast. Erinnerst du dich noch an damals, als ich dir in der Bar ein Taschentuch gegeben habe?“ Heiri bejaht. Sie zieht ein Taschentuch aus ihrem Jackensack. „Heute habe ich Blut auf meinem Taschentuch. Ich habe ihn verlassen.“ Erneut wird im Publikum Luft durch die Zähne gezogen. Die Stimmung ist angespannt. Jaqueline verlässt die Szene, Heiri bleibt alleine zurück.
Wer am Ende tatsächlich alleine zurückbleibt, ist ein Schauspieler, der sich mit diesem Schluss der Szenenfolge offensichtlich nicht abfinden kann. Er dreht sich zum Publikum und sagt: „Meine Damen und Herren, diese Improtheatervorführung wurde gesponsert von der Schweizerischen Volkspartei.“ Die gespannte Stimmung wird durch Gelächter gelöst.
In Bezug auf Storytelling eine fliessende Geschichte. Die Figuren hatten klare und begründetete Haltungen, Details (wie beispielsweise das blutverschmierte Taschentuch) wurden aufgegriffen und reincorporated (Anm. d. Red.: In ordentlichem Deutsch kann man auch “wiederaufgegriffen” sagen). Doch was wurde vermittelt bzw. übermittelt?
Perplexe Spieler
Spieler und Spielerin sind aufgrund der Geschehnisse etwas perplex. Der Spieler meint: „Ich musste am Schluss einfach noch etwas tun, so eine Szene will ich nicht spielen. So eine Szene können wir nicht bringen!” Eine Diskussion beginnt.
Hier eine Auswahl von Statements:
– Mit dieser Geschichte stigmatisiert man alle Migranten aus dem Balkan als gewalttätig.
– Damit spielt man der SVP direkt in die Hände.
– Wenn man das an einer Parteiveranstaltung der SVP gespielt hättet, hättet ihr dafür Standing Ovations gekriegt.
– Kann das nicht auch Satire sein? Wird es als solche verstanden?
– Ein solches Thema will ich nicht bespielen!
In der Tat ist das Thema brandaktuell. Und dementsprechend auch emotional beladen.
Mit ihrer Durchsetzungsinitiative (einer Abstimmung, die der Schweiz am 28. Februar bevorsteht) will die SVP, dass eine lange Reihe von direkt anwendbaren, detaillierten Bestimmungen zur Ausschaffung von straffällig gewordenen Ausländern/-innen in die Bundesverfassung aufgenommen wird. Im Ernstfall heisst das: Wenn jemand ohne Schweizer Pass einmal wegen Beschimpfung eine Geldstrafe erhalten hat und innerhalb von zehn Jahren, etwa wegen einer Drohung gegen Beamte oder Drogenbesitz, verurteilt wird, so erfolgt nach dem Willen der Durchsetzungsinitiative zwangsläufig eine automatische Ausschaffung ins Herkunftsland der Eltern oder Grosseltern.
Wankender Rechtsstaat
Diese Initiative bringt einerseits unseren Rechtsstaat ins Wanken. (Anm. d. Red.: Alle Aussagen spiegeln die vermutlich tendenziell linke Meinung der Verfasserin wider) Und auch die integrationspolitischen Botschaften sind verheerend. Um hier einige aufzulisten: Verneinung des Prinzips der Verhältnismässigkeit, beispielslose Verachtung von Menschenrechten, programmierte Verletzung des Völkerrechtes, destruktive Botschaft an Secondos. Allem voran schürt die SVP Angst und Hass, stigmatisiert kollektiv Ausländer und giesst Öl ins ohnehin schon brennende Feuer der Unsicherheit (Anm. d. ausl. Red., die nebenbei ganz bewusst Schweizer Volksmusik hört: Sehr schöne Metapher!) und schürt Angst in Bezug auf die momentane Flüchtlingsthematik.
Haben wir als Improspieler hier eine Verantwortung? Wie weit dürfen wir gehen? Sollten wir gewisse heikle Themen besser gar nicht erst bespielen, in der Angst, dass etwas missverstanden oder in die falsche Richtung bespielt oder auch interpretiert werden könnte?
Impro ist mehr als nur Unterhaltung
Ich bin der festen Überzeugung, dass ich mit Impro nicht nur unterhalten, sondern vielmehr auch berühren und zum Nachdenken anregen will. Impro soll lustig und verspielt sein, das Publikum aber auch leer schlucken oder Gänsehaut spüren lassen. Impro soll zum Nachdenken anregen. Und da gibt es für mich keine Tabuthemen, die wir nicht bespielen. Erst wenn wir uns über Dinge ausschweigen, uns nicht trauen, auch in Bereiche zu gehen, die überhaupt nicht lustig sind, verleugnen wir sie, machen sie zu Monstern. In dem Sinne gilt auch hier für mich: Meet the Monster!
Ich traue meinem Ensemble zu, dass, egal wie ‚heikel’ die Situation ist, es diese Themen mit Respekt begegnen und sie nicht nur stereotypisch für schnelle Comedy missbrauchen sondern angemessen behandeln. Denn Impro ist für mich immer Begegnung. Begegnung mit mir selber. Begegnung mit meinen Partnern. Begegnung mit Dingen, die mir und anderen Angst machen, die mich und andere beschäftigen. Heikle und politisch relevante Dinge gehören dazu.
Es gibt schon genügend Leute, die uns disconnecten wollen, die Angst schüren oder verleugnen. Lasst uns nicht Teil davon sein: Nein zur Durchsetzungsinitiative = Ja zum Rechtsstaat!