Der Improblog
Geheimnisse, Erlebnisse, Meinungen zu Improvisation
Im heutigen Beitrag versucht Simone Schwegler herauszufinden, wo die Frauen in der Impro sind. Sie selbst ist eine. Auf ihrer Suche stellt sie sich und den LeserInnen eine Menge spannender Fragen.
Wo sind die Frauen? Die Beobachtungen und Diskussionen um diese Frage und dieses Thema herum sind nicht neu. Auch ich werde immer wieder damit konfrontiert und Leute fragen: Warum ist es so, dass es auf der Ebene des professionellen Improvisationstheater-Schaffens weniger Frauen als Männer gibt? Wie kann es sein, dass Frauen in Kursen und Workshops die überwältigende Mehrzahl bilden und in den auftretenden Impro-Gruppen dann in der Minderheit sind?
Ob das überhaupt wahr ist, und falls ja, um mögliche Erklärungen zu finden, darum soll es in diesem Blogeintrag gehen.
Zuerst einmal möchte ich den Begriff “professionelle Improvisationstheater-Schaffende” eingrenzen: Darunter verstehe ich Personen, die kommerziell Impro betreiben und mehrheitlich vom Improvisationstheater und dessen Schaffensfeldern leben (Schauspiel, Engagements, Businesstheater und Unterrichten). Leute, die nicht nebenher noch einen anderen “Dayjob” haben.
Ein Kurs voller Frauen
In unserem Ensemble sind wir vier Frauen, wovon eine nur im Bereich Seminar und Coaching arbeitet und nicht mit uns auf der Bühne steht, und sieben Männer. Bei unserem Kurssystem, welches aus wöchentlich sechs Abendkursen und zweiwöchentlich einem Wochenendkurs besteht, überwiegt die Anzahl der teilnehmenden Frauen (bis hin zu unserem aktuellen Figurenworkshop mit 14 Frauen und einem Mann…).
Auf meinen Touren in Europa und Amerika, beim Unterrichten von Workshops in anderen Ländern und beim Zusammenspiel mit den jeweiligen Ensembles habe ich die selbe Beobachtung gemacht: In den Workshops sind Frauen in der Überzahl, in den Ensembles die Männer. In Amerika ganz besonders. Dort war es nicht selten, dass ich als einzige Frau auf der Bühne stand bzw. dass die Frauen deutlich in der Unterzahl waren.
Auch im Internet und auf den unterschiedlichen Socialmedia-Plattformen der Improcommunity wird dieses Thema diskutiert. Und es gibt Gegenstrebungen. Inzwischen werden, vor allem im englischsprachigen Raum, Festivals und Workshops nur für Frauen organisiert. Grössere Improschulen haben ein “Women Encourage Programm”, damit sie in den höheren Levels nicht aussteigen. An der Aussage scheint also wirklich etwas dran zu sein.
Folgend möchte ich ein paar Erklärungsversuche starten, unter anderem inspiriert durch eine Diskussion auf einer Improcommunity-Seite bei Facebook.
1.) Selbsterfahrung vs. Selbstpräsentation
Die Gründe mit Impro zu beginnen und einen Workshop zu machen sind vielseitig. Vereinfacht unterscheiden wir die Teilnehmer unwertend anhand von drei Kategorien bzw. Typen: der “Hobby-Sucher” (Anm. der Redaktion: Und die Sucherin), der “Selbstfahrer” und der “Ich will auf die Bühne-Typ”. Die Grenzen zwischen den Typen sind fliessend, die Motivationen und der Fokus können sich im Verlauf der Zeit ändern.
Kann es sein, dass Frauen eher einen Improworkshop buchen, um spontaner, schlagfertiger, selbstbewusster zu werden oder um etwas für das “echte” Leben mitzunehmen? Und in einem weiteren Schritt, dass sie einfach Freude daran haben? Genauso wie man Freude an einem Yogakurs hat, mit ein paar tollen Leuten eine lustige Sache macht, raus aus seinem Alltag kommt ohne dabei grosse Ambitionen zu haben? Und haben im Gegenzug Männer eher das Ziel vor Augen haben, auch einmal auf der Bühne zu stehen? Das Gelernte zu präsentieren? Warum hast du damals mit Impro begonnen bzw. was wäre deine Motivation einen Improworkshop zu buchen bzw. besuchen?
2.) Wettbewerb vs. Support
In Workshops achten wir als Trainer auf einen sicheren und geschützten Rahmen. Wir versuchen Teilnehmende individuell in ihren Stärken und Schwächen zu coachen, gewisse Leute zu ermutigen, sich mehr Raum zu nehmen. Anderen wiederum raten wir dazu, mehr zuzuhören und Verantwortung abzugeben. Bei allen geht es darum, sich gegenseitig zu inspirieren und zu supporten.
In einem weiteren Schritt, beim Eintritt in eine Amateurgruppe, die oft keinen klaren Leiter hat, und beim Schritt auf die Bühne und vor Publikum, verlässt man diesen sicheren Raum, ist mehr konfrontiert mit “Rampensäuen”. Ich erinnere mich noch gut an zahlreiche Szenen, als fremdbestimmte Hausfrau, Mutter, Prostituierte etc…
Trotz Prämissen wie “let your partner shine” etc. geht es mitunter kompetitiv zu und her. Formate wie Theatersportmatches, Maestro, etc. mögen dies’ noch zusätzlich unterstützen. Jedenfalls dann, wenn sie nicht vorsichtig eingeübt werden. Die ersten Male auf einer Bühne zu stehen machen unglaublich Angst.
Meine Fragen: Sind Männer mehr die “Flucht nach vorn Typen”? Ziehen sich Frauen eher aus dem Wettbewerb zurück? Gibt es so etwas wie ein typisches Genderverhalten? Sind Frauen kooperativer, Männer kompetitiver?
3.) Die “Baby-Falle”
Die meisten professionellen Improschaffenden sind altersmässig 30 Jahre und älter. Sind es letztlich biologische und soziale Bedingungen, die Frauen aussteigen lassen? Spielerinnen werden schwanger und finden den Einstieg nicht mehr in die Gruppe. Prioritäten werden neu gesetzt, Familienleben und Kinderbetreuung sind nicht mehr oder nur sehr schwer vereinbar mit den Anforderungen unseres Berufslebens. Unregelmässige Arbeitszeiten, uneinheitliches Einkommen, etc. sind weitere Gründe.
Finanzielle Gründe spielen eine grosse Rolle: “Ich gehe lieber wieder zurück in die Schule um Teilzeit zu arbeiten, ich positioniere mich lieber im Bereich Moderation/Coaching, da verdiene ich besser und arbeite weniger an den Abenden.” So sind es eher Frauen im professionellen Improschaffen, die keine, schon ältere Kinder oder einen sehr flexiblen Partner haben. Lässt sich hier eine Parallele ziehen zwischen allgemeinen Führungspositionen in der Wirtschaft und dem Profi-Improspiel?
Von zwei weiteren Erklärungsversuchen, die ich immer mal wieder höre, möchte ich mich distanzieren:
4.) Frauen sind weniger lustig!
Diese Aussage kommt oft zusammen mit dem Verweis auf die Comedyszene, wo es auch weniger Frauen als Männer gibt. Dies ist meiner Meinung vor allem historisch zu begründen. Und der Blick auf die zur Zeit aufstrebenden, weiblichen Comedytalente lässt mich zuversichtlich sein.
5.) Frauen vertragen keine Frauen-Konkurrenz!
Wirklich?
Für mich neu in der Auseinandersetzung mit dem Thema war ein Punkt, der mir bisher nicht richtig bewusst war: Vorbilder!
6. Vorbilder und Identifikationsfiguren
Wenn ich zurück auf meinen eigenen Improwerdegang blicke, habe ich die meisten Kurse, Workshops und Weiterbildungen bei Männern besucht. Bei Shows, die ich gespielt beziehungsweise gesehen habe, standen oft mehr Männer als Frauen auf der Bühne. Wenn mehrheitlich Männer in diesen Positionen und auf der Bühne sind, werden diese zu Identitätsfiguren und Vorbildern, die Teilnehmenden und Zuschauer identifizieren sich mit Trainern und Spielern. Hier können wir ansetzen. Bei der Programmierung von SpielerInnen in Shows, bei der Einteilung von TrainernInnen etc. Ich bin zuversichtlich.
Was denkst du (Anm. d. Red.: Egal ob Mann oder Frau) zu meinem Erklärungsversuchen? Sind sie valabel (schweizerisch: den Anforderungen gewachsen; geeignet; wählbar)? Welche Gründe fallen dir sonst noch ein?